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06.12.19 –
Parteichef Robert Habeck über Politik zwischen Bauernprotesten und Klimastreiks
Robert Habeck kommt mit reichlich Verspätung zum Interview. Zuvor sucht der Grünen-Vorsitzende noch das Gespräch mit zahlreichen aufgebrachten Landwirten, die ihn vor der Landshuter Sparkassen-Arena in Empfang nehmen. Mit rund 600 Traktoren sind sie am Freitagabend angerollt, um ihrer Forderung nach einer anderen Agrarpolitik Nachdruck zu verleihen (wir berichteten). Im Gespräch mit unserer Zeitung geht es dann sogleich auch um grüne Politik zwischen Bauernprotesten und Klimastreiks.
Herr Habeck, Bauernproteste und Klimastreiks wechseln sich in diesen Tagen mit schöner Regelmäßigkeit ab. Wie spannend ist es derzeit, für die Grünen Politik zu machen?
H a b e ck : Das ist nicht nur für die Grünen eine extrem spannende und anspruchsvolle Zeit. Wir leben in einer Umbruchphase. Die Ära Merkel geht vorbei und damit auch eine Zeit, die teilweise mit Worten wie „Alternativlosigkeit“ umschrieben wurde. Die Welt ist in Aufruhr geraten – und mit ihr die deutsche Parteienlandschaft.
Die Landwirte beklagen zu strenge Auflagen beim Arten- und Naturschutz. Wurden ihre Existenzängste – nicht zuletzt auch von den Grünen – zu lange beiseitegewischt?
H a b e ck : Nein, das würde ich nicht sagen. Die Existenzängste kommen daher, dass das System die Landwirte zwingt, immer höhere Leistungen für immer weniger Geld zu erbringen, also immer intensiver zu wirtschaften. Davon hat die Bevölkerung lange Zeit profitiert. Die Lebensmittelpreise sind niedrig, die Qualität ist hoch. Aber das wendet sich inzwischen gegen die Bauern selbst. Jedes Jahr geben zwei Prozent der Betriebe auf, weil sie unter dem Druck „immer billiger, immer mehr“ nicht mehr mithalten können. Andere Betriebe werden dafür in der Fläche größer und steigern ihre Effizienz.
Durch diese Entwicklung haben wir jetzt eine kritische Schwelle erreicht, an der wir uns fragen müssen, wie wenige Bauern wir uns in Deutschland leisten wollen. Die ineffektiven Betriebe sind alle weg, jetzt droht auch den effektiven das Aus. Deshalb gehen die Landwirte zu Recht auf die Straße, sie fühlen sich zu Recht alleingelassen. Allerdings nicht, weil die Grünen sie mit Auflagen überziehen, sondern weil die konventionelle Agrarpolitik zu lange nicht gesehen hat, dass das System geändert werden muss.
Wie schwierig ist es für Sie, mit Landwirten ins Gespräch zu kommen ?
H a b e ck : Tatsächlich ist das mitunter schwierig. So war es auch, als ich 2012 in Kiel Agrarminister wurde. Schleswig-Holstein ist ähnlich wie Bayern stark geprägt von der Landwirtschaft, die Bauern spielen eine große Rolle im Land. Unser Start war nicht leicht, aber mit der Zeit schafften der Bauernverband und ich es, einen konstruktiven Dialog zu führen, indem wir tatsächlich über das System geredet haben.
Und weil wir versuchten, die berechtigten Ansprüche der anderen Seite zu sehen. Das heißt: Umwelt-, Arten- und Klimaschutz müssen Berücksichtigung finden. Zu sagen, ein bisschen Gülle im Grundwasser hat noch keinem geschadet, ist keine Option. Umgekehrt ist es ein völlig berechtigtes Interesse der Landwirte, wenn sie wirtschaftsfähige Betriebe einfordern. Wenn man das beides anerkennt, kann man über das Wie der Umstellung reden: Welche Gelder müssen fließen? Wie schafft man regionale Kreisläufe? Kann man das mit Werbekampagnen unterstützen? So ging die Debatte dann ganz manierlich voran.
Den Vertretern von „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ gehen die Forderungen der Grünen oft nicht weit genug. Geben die Grünen beim Klimaschutz überhaupt noch den Ton an?
H a b e ck : Es gibt einen Unterschied zwischen den Grünen und „Fridays for Future“ und erst recht zu „Extinction Rebellion“. Das sind Bürgerbewegungen, die sich auf ein Themenfeld fokussieren und dieses zu Recht in voller Radikalität vortragen. Die Grünen sind keine Bürgerbewegung mehr, auch wenn wir Durchlässigkeit zu diesen Bewegungen von der Straße haben. Wenn die wollen, können sie bei uns mitmachen, am Ende müssen wir als Politiker aber immer überlegen, wie sich die Dinge umsetzen lassen. Im Zweifelsfall müssen wir auch andere Kriterien bedenken. Zum Beispiel fordern wir den Ausbau der erneuerbaren Energien sehr eindringlich, gleichzeitig wollen wir ihn nicht zu dem Preis, dass Artenschutz, Mitbestimmung und Planungsprozesse einfach über Bord geworfen werden.
Jetzt kann man natürlich kritisieren: „Eure Pläne sind nicht ehrgeizig genug.“ Aber wir können auch sagen: Diese Pläne sind unter den Bedingungen des Rechtsstaats die ehrgeizigsten, die wir machen können. Denn eins ist völlig klar: Alles, was wir tun, muss sich im Rahmen des demokratischen Rechtsstaats bewegen. Diese Grenze werden wir nicht überschreiten.
Sind die Grünen pragmatisch geworden?
H a b e ck : Pragmatismus und Idealismus sind in dieser Zeit keine Gegensätze mehr. Ein reiner Pragmatismus, wie er vielleicht das letzte Jahrzehnt politisch vorherrschte, also ein Durchwurschteln im Alltag, schafft zwar manche Dinge, die direkt vor der Nase liegen, irgendwie weg, man verliert dabei aber die Richtung aus den Augen. Aber am Ende müssen die Menschen wissen, wohin wir gehen. Andererseits nur auf den Horizont zu schauen, von einer idealen Welt zu träumen, ohne sich die Hände schmutzig machen zu wollen, ändert nichts an der Wirklichkeit.
Die Grünen werden von der politischen Konkurrenz gerne als Ein-Themen-Partei dargestellt. Müssen Sie sich, um diesem Verdacht zu begegnen, in anderen Bereichen noch stärker profilieren?
H a b e ck : Politik ist ein Wettbewerb und der politische Mitbewerber versucht natürlich, eine Projektion zu schaffen. Aber der von Ihnen wiedergegebene Verdacht stimmt schon in der thematischen Ausrichtung nicht. Wir sind eine breit aufgestellte Partei. Wir führen in den Ländern drei Finanzministerien und zwei Wirtschaftsministerien, wir haben mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg einen Ministerpräsidenten, der die Wirtschaft versteht und ihre Anliegen in Politik umsetzen kann, es gibt grüne Minister für Bildung, Soziales und den ländlichen Raum. Unsere Expertise in der Außen- und Verteidigungspolitik ist stark. Und ich bin sicher, dass der wachsende Zuspruch der letzten zwei Jahre aus verschiedenen Quellen kommt. Ich glaube, die Menschen schätzen gerade eine politische Kultur, die die Auseinandersetzung in der Sache sucht, aber respektvoll über andere redet, die optimistisch und leidenschaftlich ist und versucht, aus dem Zentrum der Gesellschaft heraus zu agieren, und tatsächlich Antworten auf große Fragen geben will.
Sie sprechen in Bezug auf die Landwirtschaft von Ausgleich. Um welche Ausgleiche geht es Ihnen gesamtpolitisch?
H a b e ck : Die alten Gegensätze, die vor vielleicht 20, 30 oder 40 Jahren die politische Landschaft sortierten, funktionieren nicht mehr. Nehmen Sie den Mindestlohn, der gern als linkes Projekt gesehen wird. Dabei ist es konservatives Ansinnen zu sagen, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben sollen. Und genauso ist in der Wirtschaft angekommen, dass wirtschaftliche Prosperität und Umweltschutz einander bedingen. Start-up-Unternehmer würden heute zu rund 40 Prozent die Grünen wählen. Das liegt daran, dass die meisten Wirtschaftsmodelle Nachhaltigkeitsmodelle sind. Junge Unternehmer machen mit Umwelt- und Klimaschutz gute Geschäfte.
Wo gibt es demgegenüber Ihrer Meinung nach noch Gegensätze?
H a b e ck : Wir leben in einer Zeit der Veränderung: Die Klimakrise verlangt von uns, anders zu wirtschaften, den Alltag anders zu gestalten, die Digitalisierung verändert unsere Arbeit, unsere Kommunikation, unser Leben. Die über Jahrzehnte gekannte Weltordnung ist aus den Fugen geraten. Ich bin sicher: Nur wenn wir diese Veränderungen gestalten, können wir für Stabilität und Perspektiven sorgen. Trotzdem macht der Wandel vielen Angst. Sie haben Angst zu verlieren oder fühlen sich nicht gesehen, vielleicht respektlos behandelt, zurückgewiesen. Wenn man konventionellen Landwirten oder Braunkohlekumpeln in der Lausitz sagt, ihr habt zwar Deutschland satt gemacht oder das industrielle Herz der DDR am Leben erhalten, aber jetzt müssen wir uns etwas Neues ausdenken, fühlen sie sich verloren. Das muss man ernst nehmen und sich den Kopf über Lösungen zerbrechen, wie sie einen Platz in einer veränderten Welt behalten.
Einen Strukturwandel gibt es auch in der Zeitungsbranche. Er betrifft die Entwicklung hin zum digitalen Produkt und hat zur Folge, dass die gedruckte Auflage in kleinen Dörfern manchmal nur noch mit Mühe verbreitet werden kann. Wie stehen Sie zur staatlichen Unterstützung von Zeitungszustellung?
H a b e ck : Das ist keine leichte Debatte, weil die Subventionierung von Zeitungen auch als Eingriff in die Unabhängigkeit der Presse interpretiert werden kann. Ich bin aber gerne zum Dialog bereit, wie man die kulturelle Daseinsfürsorge im ländlichen Raum halten kann. Dabei muss gewährleistet werden, dass die Mindestlöhne für Zusteller nicht unterlaufen werden. Wenn man an eine mögliche Unterstützung der Zustellung denkt, müsste das aber an sehr klare Kriterien gekoppelt sein. Wir haben ja die Situation, dass im ländlichen Raum Redaktionen ausgedünnt werden und die Meinungsvielfalt zurückgeht. Insgesamt müssen wir darüber debattieren, wie die Zukunft von Zeitungen und Qualitätsjournalismus in Zeiten der Digitalisierung aussehen kann.
Der Fortbestand der großen Koalition ist nach wie vor fraglich. Sie wären sofort bereit, in Berlin zu übernehmen?
H a b e ck : Die SPD muss jetzt schnell Klarheit herstellen: Ist sie bereit, weiter Regierungsverantwortung wahrzunehmen, ja oder nein. Davon hängt alles Weitere ab. Deutschland kann sich in keinem Fall eine Hängepartie leisten. Dazu sind die Aufgaben zu groß: die Klimakrise, die sich verschlechternde Wirtschaftslage, Handelskonflikte, Fragen der europäischen Sicherheit. Es braucht eine Regierung, die führt.
Täuscht es oder drängen die Grünen wie nie in die Verantwortung?
H a b e ck : Wie nie, weiß ich nicht, aber daraus will ich kein Geheimnis machen: Wir wollen regieren. Man kann tolle Ideen entwickeln und grandiose Parteitagsreden halten, aber uns geht es darum, die Wirklichkeit zu verändern. Es geht ums Tun.
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Interview: Prof. Dr. Martin Balle, Markus Lohmüller und Uli Karg
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Quelle: Staubinger Tagblatt vom 03.12.2019
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