Grüne fordern Integrationsministerium

Chef der Bundestagsfraktion Hofreiter im PNP-Gespräch:„Integration zentrale Aufgabe der nächsten Jahre“ Passau. Die Flüchtlingssituation, der VW-Skandal – es ist die Zeit der Krisen. Auf beide hätte die Regierung früher reagieren müssen, sagt der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, im Interview. Jetzt müsse endlich gehandelt werden. Herr Hofreiter, wie groß ist der Schaden, den der VW-Skandal für die deutsche Wirtschaft verursacht hat? Anton Hofreiter: Der ist sicherlich groß und das ist natürlich bitter, gerade für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einfach einen guten Job machen. Wenn man im Ausland unterwegs ist, merkt man, dass Zuverlässigkeit und Anständigkeit zentrales Kapital für deutsche Produkte sind. VW hat ganz bewusst manipuliert und mit falschen Werten geworben. Das ist keine Lappalie: Es gibt diese Grenzwerte ja nicht, um die Autoindustrie zu ärgern, sondern weil die Abgase extrem gesundheitsschädlich sind. Ich hoffe, VW und die ganze Autoindustrie erkennen, dass es Zeit ist für einen Mentalitätswechsel. Wir müssen viel engagierter in Antriebe jenseits des Verbrennungsmotors investieren. Sonst droht die Gefahr, dass die deutschen Hersteller am Ende in große ökonomische Schwierigkeiten kommen, weil es innovativere Konkurrenten gibt. Regionen wie Niederbayern sind vom Wohlergehen der Autoindustrie abhängig.

Chef der Bundestagsfraktion Hofreiter im PNP-Gespräch:
„Integration zentrale Aufgabe der nächsten Jahre“

 

Passau. Die Flüchtlingssituation, der VW-Skandal – es ist die Zeit der Krisen. Auf beide hätte die Regierung früher reagieren müssen, sagt der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, im Interview. Jetzt müsse endlich gehandelt werden.

Herr Hofreiter, wie groß ist der Schaden, den der VW-Skandal für die deutsche Wirtschaft verursacht hat?

Anton Hofreiter: Der ist sicherlich groß und das ist natürlich bitter, gerade für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einfach einen guten Job machen. Wenn man im Ausland unterwegs ist, merkt man, dass Zuverlässigkeit und Anständigkeit zentrales Kapital für deutsche Produkte sind. VW hat ganz bewusst manipuliert und mit falschen Werten geworben. Das ist keine Lappalie: Es gibt diese Grenzwerte ja nicht, um die Autoindustrie zu ärgern, sondern weil die Abgase extrem gesundheitsschädlich sind. Ich hoffe, VW und die ganze Autoindustrie erkennen, dass es Zeit ist für einen Mentalitätswechsel. Wir müssen viel engagierter in Antriebe jenseits des Verbrennungsmotors investieren. Sonst droht die Gefahr, dass die deutschen Hersteller am Ende in große ökonomische Schwierigkeiten kommen, weil es innovativere Konkurrenten gibt. Regionen wie Niederbayern sind vom Wohlergehen der Autoindustrie abhängig.

Begünstigt der Skandal die Elektroauto-Branche?

Hofreiter: Da ist die Regierung gefragt, die Druck machen muss. Es ist jämmerlich, wie wenig da vom Verkehrsminister kommt. Wir schlagen vor, auch über die Kfz-Steuer Anreize für Null-Emissions-Autos zu schaffen: Wenig Emissionen, wenig Steuer – höhere Emissionen, höhere Steuer. Das wäre doch ein einfacher und sinnvoller Beitrag zum Umweltschutz.

Sie sagen, in der Politik war die Manipulation bekannt. Warum haben Sie nicht beharrlicher darauf aufmerksam gemacht? 

Hofreiter: Wir haben sehr lange darauf hingewiesen. Es ist wie mit einer Lawine: Ein einfacher Schneeball reicht nicht, damit sie losbricht. Irgendwann passiert aber etwas und das Thema wird publik. Das Verkehrsministerium hat gewusst, dass bei den Abgaswerten etwas nicht stimmt und nicht gehandelt.

Sprechen wir über die Flüchtlingskrise. Auch hier werfen Sie der Regierung vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben.

Hofreiter: Ja, die ehrenamtlichen Helfer, die Länder und Kommunen wurden mit der Situation viel zu lange allein gelassen. Der Innenminister hat über Monate hinweg völlig kopflos agiert. Jetzt hat das Kanzleramt die Koordination übernommen, weil es gesehen hat, dass der Innenminister es nicht gebacken bekommt. Nach Merkels Auftritt bei Anne Will erwarte ich, dass es jetzt nicht nur bei ehrlichen und guten Worten bleibt. Jetzt braucht es Tatkraft – gerade auch von der Union. Immerhin ist Frau Merkel nicht nur Kanzlerin, sondern auch Parteichefin der CDU.

Bayern, wo die Flüchtlinge ankommen, ist überlastet. Die CSU will die Reißleine ziehen, es ist von Grenzzäunen und Obergrenzen die Rede. Welche Lösung hätten die Grünen?

Hofreiter: Es ist klar, dass gerade die Grenzregion enorme Herausforderungen zu bewältigen hat. Es ist die Aufgabe des Bundes, in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie DRK und THW und der Bundeswehr, die Flüchtlinge möglichst schnell aus der Grenzregion auf den Rest des Bundesgebiets zu verteilen. Was die CSU betreibt, ist rechtspopulistische Stimmungsmache. Nehmen Sie das Gerede von Obergrenzen. Das geht rein rechtlich gar nicht. Und selbst wenn es ginge, wie stellt sich die CSU das praktisch vor? Wollen sie die Grenze schließen? Dann würden sie den Schleppern noch mehr Menschen in die Arme treiben. Wollen sie die Flüchtlinge nach Syrien in den Bürgerkrieg zurückschicken? Wenn man die Menschen anständig behandeln möchte, sehe ich eine humane Lösung nur, wenn alle zusammen versuchen, diese Aufgabe zu bewältigen.

Ganz konkret: Was muss passieren?

Hofreiter: Die Verfahren müssen endlich schneller werden. Zum Teil werden die Flüchtlinge viermal registriert. Da braucht es dringend eine bürokratische Entschlackung, damit das alles schneller geht. Einmal registrieren reicht. Bei jedem Flüchtling muss die Bundespolizei außerdem ein Verfahren anstrengen wegen illegalen Grenzübertritts. Das bindet viel Kraft und ist komplett sinnlos. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist total unterbesetzt. Und es muss bei jedem Syrer prüfen, ob er zu Recht geflohen ist oder nicht. Es würde doch reichen, wenn man nur prüft, ob er Syrer ist. Wer Syrer ist, soll unbürokratisch bleiben dürfen. Wir schlagen außerdem vor, ein Integrationsministerium einzurichten. Integration wird die zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre sein.

Um den Menschen längerfristig gerecht zu werden, braucht es Wohnungen, Arbeitsplätze und mehr. Ist es naiv, anzunehmen, wir können alle aufnehmen, die kommen?

Hofreiter: Was will man machen, wenn jemand an der Grenze steht? Will man wie Orban Wasserwerfer einsetzen oder die Leute niederknüppeln? Wie will man die Menschen am Grenzübertritt hindern, wenn man einigermaßen menschlich bleiben will? Wir können nicht sagen: „Tut mir leid, wir haben schon 800 000 aufgenommen, du musst leider wieder gehen.“

Wo ist die Grenze zwischen humanem Handeln und Überforderung?

Hofreiter: Man muss jetzt handeln, damit in den nächsten Jahren die Situation geordneter wird. Es müssen Hilfen für Jordanien, den Libanon und die Türkei stehen, die ja Millionen von Menschen aufgenommen haben. Es wäre ein großer Gewinn, das „World Food Programme“ so regelmäßig mit Geld zu versorgen, dass die Menschen in den Flüchtlingslagern nahe der Krisengebiete nicht hungern. Ein Grund, dass sich so viele Flüchtlinge auf den lebensgefährlichen Weg gemacht haben, war die Tatsache, dass dem Programm das Geld ausgegangen ist, weil die europäischen Länder ihren Teil nicht rechtzeitig überwiesen haben. Wir müssen also endlich die Fluchtursachen vor Ort angehen! Und auf europäischer Ebene braucht es eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge. Wenn Cameron erklärt, Großbritannien nimmt 20 000 Flüchtlinge in fünf Jahren auf, kann man sich schon fragen, wo da die europäischen Werte sind. 20 000 Flüchtlinge machen wir an einem Wochenende in der Region.

Was passiert mit den Ländern, die sich weigern?

Hofreiter: Man kann nicht nur die Vorteile von Europa abgreifen. Man braucht ein Quotensystem und wenn Staaten niemanden aufnehmen wollen, sollten sie stattdessen in einen Flüchtlingsfonds einzahlen. Ich glaube, wenn wir in die Integration der Menschen investieren, kann Europa am Ende davon profitieren.

Interview: Christina Fleischmann
Deggendorfer Zeitung - Nr. 234
9.10.2015 - Seite 9

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